Etappe 3: von Glurns nach Bormio über Stilfser Joch – 55 Km – 1925 Hm
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Endlich ist das Ortsende von Prad erreicht und ich habe die Königin der Passstraßen unter den Rädern. Es ist eigentlich das gleiche wie beim Bergsteigen: Das schlimmste sind die Zweifel vorher! Hat man die ersten 100 hm hinter sich, kann man sich voll auf die Sache konzentrieren, wenn´s läuft. Und es läuft: In Gomagoi nur 300hm über Prad bin ich mir absolut sicher, dass ich die Passhöhe erreichen werde, ja vielleicht sogar mein mir selbst auferlegtes Ziel von unter 4 Stunden schaffen kann. Davon hab ich sicherheitshalber den anderen nichts erzählt, am Abend vorher habe ich gesagt, sie sollen frühestens 5 Stunden nach dem Start mit mir rechnen. Die großen Pässe fahren wir nämlich immer jeder für sich und treffen uns erst auf der Passhöhe wieder.
Kurz nach Gomagoi (1267m) kommt die erste von 48 Kehren, die am Stilfser Joch abwärts nummeriert sind.
Ich bin so überwältigt, dass ich stehenbleiben muss, um diese denkwürdige erste bzw. 48ste Kehre zu fotografieren. Die nächsten 300 hm bis Trafoi werden es nur 4 Kehren weniger, dann aber schraubt sich die Straße Kehre für Kehre nach oben.
Von hier aus hat man auch einen gigantischen Ausblick auf den Ortler (3905m – höchster Berg in Südtirol). Erneut, wohlwissend dass die Zeit drängt, muss ich als Bergsteiger einfach anhalten, um ein Foto zu machen.
Immer noch 1000 Hm
Eine weitere wichtige Hürde am Stilfser Joch, die Baumgrenze an der Franzenshöhe (2188m). Kurz vorher treffe ich auf einen meiner Mitstreiter, der mich von nun an bis zur Passhöhe begleitet.
Nach der Kehre 22 an der Franzenshöhe beginnt der 6 km lange 600m hohe Schlussanstieg. Von unten betrachtet schaut es aus wie eine senkrechte Felswand.
Der letzte Steilhang, man hat an dieser Stelle schon 1200 hm in den Beinen, und dann kommen nochmal 21 Kehren, 6km steil bergauf und 600hm, das Stilfser Joch ist wirklich gewaltig, aber auch unglaublich schön. Diese grandiose Naturkulisse entschädigt wirklich für alle Mühen. Nur das Wetter hat meine Freude etwas getrübt, denn nach der Franzenshöhe begann es zu tröpfeln. So war ich gezwungen nochmal anzuhalten, um die Regenhülle über den Rucksack zu basteln und mir die Regenjacke anzuziehen.
Auf den letzten 400 hm überlegte ich öfters, ob ich zum Zielsprint ansetzen sollte, letztendlich war aber dann der Respekt vor dem nächsten Tag (Gavia- Pass und Passo Tonale, zusammen über 2000hm) zu groß und so kam ich relativ entspannt auf der Passhöhe an. 13.28 Uhr sagte der Zeitmesser, das heißt 3 Stunden 58 Minuten ab Ortsende Prad. Ich hatte es geschafft, unter 4 Stunden am Stilfser Joch, trotz der vielen Fotopausen und der ungeplanten Pause wegen Regen.
Schnell wurden die Sehenswürdigkeiten auf der Passhöhe und das Schild abfotografiert, dann begab ich mich auf die Suche nach meinen Freunden, die ich in einem Wirtshaus wiederfand.
Geschafft, da darf man sich mal eine Halbe genehmigen.
Rainer war der Passkönig: Er war als Erster am Stilfser Joch, nach nur 2 Stunden und 50 Minuten, lediglich 16 min. dahinter folgten Manuel und Tobias. An dieser Stelle nochmal herzlichen Glückwunsch zu diesen sagenhaften Zeiten. Da jeder seine eigene Zeitvorgabe erreicht hatte, war die Freude bei allen groß und die Anstrengungen fast schon wieder vergessen. Wir hatten die Königsetappe unserer Tour bravourös gemeistert, wir fühlten uns wie Helden. Auch hatte nun niemand mehr bedenken vor den letzten drei Pässen und ich freute mich schon auf den Urlaub am Gardasee, wenn ich endlich keine Powerriegel mehr essen bräuchte.
Momentan aber hatten wir noch andere Sorgen: Das Wetter, es regnete immer stärker, wurde ständig kälter und die Windböen wurden immer heftiger. Mit dem Bus nach Bormio zu fahren wäre nicht „by fair means“ gewesen und wurde somit nicht weiter diskutiert. Aussitzen hieß die Devise. Vielmehr hofften wir auf das Schönwetterfenster, das uns Christian für ca. 17.15 Uhr prophezeite. Als Lohn für seine Wetterdienste hätte er am Abend eine gute Flasche Rotwein bekommen, wenn sie auch nur ansatzweise gestimmt hätte.
Um 17.00 Uhr, nach fast 5 Stunden auf der Passhöhe im Gasthaus Perego, bereiteten wir uns langsam aber sicher auf eine nasse, kalte Abfahrt vor, zumal die Angestellten in der Wirtschaft unmissverständlich zu verstehen gaben, dass sie sich auf den Feierabend vorbereiteten. Auch auf das Gruppenfoto unter dem Passschild haben wir bei diesem Sauwetter verzichtet.
Jeder machte sich so gut wie möglich wasserdicht. Manuel spannte sich seinen zweiten Rucksack als Wind und Kälteschutz vor die Brust. Stefan setzte alles auf seine wasserdichten Überziehschuhe.
Die Abfahrt nach Bormio gestaltete sich fast anstrengender als die Auffahrt. Nach ca. 2 Minuten in dem Sauwetter hatten wir alle kaum einen trockenen Faden mehr am Leib und froren erbärmlich. Die Hände und Finger schmerzten im kalten Fahrtwind, durften aber ihren Dienst an den Bremsen nicht verweigern. Einziger Vorteil: Mit jedem Meter, den wir abfuhren, wurde es merklich wärmer. Nach 45 Minuten war auch dieser Höllenritt Geschichte und wir freuten uns auf die heiße Dusche in unserem Hotel in Bormio.
Bei einem guten Abendessen im Weltcuport Bormio fand dieser Tag einen würdigen Ausklang. Die Stimmung war nun sehr viel entspannter als am Vorabend und jeder freute sich auf den Gavia Pass, der ja doch ein wenig kürzer und nicht ganz so steil wie das Stilfser Joch ist.
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